Schon oft wurde ich gefragt: ''Sag mal,
arbeitest du überhaupt???'' und für diejenigen von euch, die
aufgrund zu vieler Strandbilder mit bilderbuchblauem Meer im
Hintergrund zu ähnlicher Ansicht gekommen sind, dieser Eintrag:
Doch, ich arbeite!
Ich habe einmal ganz am Anfang eine
Seite angelegt, die sich ''Mein Projekt'' nennt (oben in der Leiste
zu finden). Allerdings hat sich seit dem viel geändert und
mittlerweile zähle ich noch ein anderes Projekt zu den meinen, das
mir nicht offiziell zugeteilt wurde, sondern mir mit all seinem
Charme und lieben Menschen über den Weg gelaufen ist...
Beginne ich mit der Musikschule, der
''Compañia Filarmonica de los Andes'', die mein offizielles
AFS-Projekt ist. Viermal die Woche bin ich dort nachmittags bis
abends, nur Freitag fange ich schon morgens um 9 an und hab so einen
freien Nachmittag. Gibt es Samstags Konzerte, muss ich auch da
manchmal helfen.
Meine Arbeit an sich lässt sich schwer
mit einem Begriff beschreiben - vielleicht noch am besten mit
''Mädchen für alles''. Ich habe schon Verlängerungskabel mit
Heißklebepistole an Leisten geklebt, Notenlinien auf großen
Schultafeln mit Acrylfarbe nach gemalt (so 3 Wochen ungefähr), weiße
Farbe von Holzrahmen abgeschabt und mit Sandpapier nach poliert und
unzählige Notenübersichten und Rhythmusspiele (natürlich auf
spanisch) gemalt, gebastelt & geklebt.
Mein ''neustes Projekt'' ist der
Modellbau eines kleinen Dorfes mit 14 Miniaturhäusern, 28 Treppchen
und 3 Straßen auf einem Spielfeld der Größe A1 ungefähr, das
Kindern das Lernen der Dur- und Moll-Tonarten erleichtern soll.
Nichts leichter als das - außerdem muss es natürlich
zusammenklappbar sein. Ich habe viel Zeit und ''paciencia''
(Geduld)...
Nebenbei mach ich Fotos, die die
Musikschule für ihre diversen
Publikationen verwendet, entwerfe
Aushänge für Konzerte oder schmücke den Eingang anlässlich von
Feiertagen, Festen und ''Jahreszeiten''.
Ein mal in der Woche habe ich eine
Stunde mit meinem Klavierschüler Alejandro.
Alejandro ist 32 Jahre alt und lernt
schon seit ungefähr 20 Jahren Klavier und Gesang in der Filarmonica.
Wenn ich Dienstagnachmittag um zwanzig nach 2 in die Musikschule
komme - <<Ya te volviste colombiana!>> bekomme ich
allerorts zu hören (''Du bist schon richtig kolumbianisch
geworden!'') - kommt meine Chefin aus dem Unterrichtszimmer,
schüttelt den Kopf und sagt ''Wanda, ich kann nicht mehr. Du bist
dran.''. Als ich mich neben Alejandro ans Klavier setze, lächelt er
nur entschuldigend und schaut auf die Noten die vor ihm stehen. Nun
wahrscheinlich schon seit einem Monat dieselbe Seite. Meine Chefin,
und gleichzeitig Klavier-, Gesangs- & Musiktheorielehrerin der
Musikschule, zeigt mir welche Takte nicht gut klingen und welche
Tonleiter wir üben sollen. Dann ermahnt sie meinen Schüler
''juicoso'' (vernünftig, brav) zu sein, wünscht mir viel Glück und
verlässt das Zimmer.
Ich lasse Alejandro erst einmal das
ganze Stück vorspielen. Dann spielt er nur den einen schwierigen
Takt. Ich erkläre ihm, warum der Rhythmus falsch ist und spiele ihm
selbst den Takt vor. Er nickt fleißig und spielt den Takt wieder
falsch. Ich lasse ihn verschiedene Noten-Kombinationen einzeln
spielen und hundertmal wiederholen. Danach spielt er den Takt wieder
20 Mal falsch. Dann spielt er ihn richtig - ich juble!!! Die nächsten
10 Mal spielt er ihn wieder leicht unrhythmisch. Egal- irgendwie
haben wir doch was geschafft diese Stunde. Und vielleicht spielt er
nächste Stunde den Takt ja zweimal richtig.
Was für eine Krankheit Alejandro genau
hat weiß ich nicht. Meine Chefin hat mir einmal erklärt, er würde
7mal so lange brauchen um etwas zu lernen wie ein Mensch mit
durchschnittlicher Lernfähigkeit. Oft erstaunt mich aber am meisten
seine eigene Geduld. Manchmal ist er ein bisschen wie ein kleiner
Junge, aber er beschwert sich nie, wenn ich ihn 10 Minuten lang die
gleichen 3 Noten spielen lasse. Auf Leute, die ihn nicht kennen,
wirkt er wie ein ''normaler'' junger Mann, sehr ruhig, ein bisschen
langsam, ein bisschen schusselig. So weit ich weiß, verdient er auch
selbst Geld mit dem Verkauf von Perfums, davon leben kann er aber
wohl eher nicht. Seine Freizeit verbringt er größtenteils bei uns –
übt Klavier, singt oder... lernt Deutsch in meinem Kurs.
Jeden Dienstag- und jeden Mittwochabend
kommen außer Alejandro noch 4-5 weitere Schüler in die Filarmonica
um in meinem Kurs deutsch zu lernen. Warum? Ich habe keine Ahnung!
Tatsache ist, dass alle meine Schüler freiwillig kommen und lernen.
Wenige haben schon bei meinen deutschen
Vorgängern ein wenig gelernt – für andere ist die deutsche
Sprache nicht mehr als ein fremdes Phänomen. Und ich gebe zu –
auch mir wird sie immer fremder. Nicht nur durch die fehlende Übung;
um so mehr ich mich in grammatische Strukturen vertiefe, um meinen
Schülern logische Antworten zu geben, um so unsinniger scheint mir
diese Sprache zu sein. Mein Kurs ist gerade mal ganz am Anfang aller
Grammatik und doch stolpere ich schon über mir völlig unklare Dinge
- wie zum Beispiel dem Akkusativ. Warum brauchen wir denn überhaupt
Fälle??? Dazu kommt, dass ich meinen Schüler meistens erst einmal
die spanische Sprache erklären muss, um dann einen logischen Bezug
zur deutschen Grammatik zu schaffen. Denn so wenig wie ich meine
eigene Sprache in ihrer Theorie verstehe, so fremd ist meinen
kolumbianischen Schülern ihre eigene ''idioma''.
Alejandro hat außerdem ein Hang zum
Italienischen – so ist das Sprachchaos perfekt!
Noch schwieriger als die Grammatik -
mit der sie sich ja eigentlich noch gar nicht beschäftigen sollen -
ist die Aussprache, die kann man nämlich nicht umgehen. Das
anfängliche ''Eins-Zwei-Drei-Bier-...'' ist mittlerweile sogar schon
fast verschwunden (Erklärung: 'b' und 'v' werden im Spanischen meist
gleich ausgesprochen, oft mit Hang zum 'b'), Wörter mit 'ü' und 'ß'
sorgen immer noch für Verwirrung.
Und doch - wenn einer meiner Schüler
sagt: ''Mir gefällt es Klavier zu essen'' und alle anderen sich 10
Minuten vor lachen nicht mehr einkriegen, dann weiß ich – sie
haben begonnen, die Sprache zu verstehen. Genauso schön ist es auf
der Treppe von einem meiner Schüler mit ''Guten Tag, Wanda'' begrüßt
und ''Auf Wiedersehen'' verabschiedet zu werden. In den paar Monaten,
die mir noch bleiben, werden sie vielleicht nicht lernen Deutsch zu ''reden'',
aber sie werden am Ende gelernt haben, dass es in Deutschland weder
Arepas noch Empanadas gibt, dafür aber die leckerste Schokolade der
Welt! Sie werden wissen, dass es ein Unterschied zwischen Bier und
der Zahl 4 gibt und Dinge, die sich ''Fälle'' nennen, die aber nicht
mal die Deutschen selbst verstehen und richtig anwenden.
Und sie werden ein paar Sätze sagen
können, manche einfacher, manche sogar schon komplexer, und damit
vielleicht eines Tages einen Deutschen überraschen, der ihnen über
den Weg läuft!
ENDE TEIL 1