''Das Geheimnis ist, ohne die Antwort zu leben''

Dienstag, 25. Juni 2013

Wie Kolumbianer leben und was sie lieben


Eine kleine Auflistung der herrlichsten Angewohnheiten meiner derzeitigen Landsleute... unnütze Kuriositäten zum Unterhalten, aber auch Verstehen!

(Achtung: Stereotypisierung von vorn bis hinten, natürlich trifft nicht ALLES auf JEDEN zu)


  • Angewärmte Sitzplätze in Bussen gelten als eklig, außerdem verursacht die zurückbleibende Sitzwärme des Vorgängers Hitzepickel – deshalb wird halb stehend vor dem Sitz gewartet, dass er abkühlt



  • Die Abflussrohre hier haben angeblich einen kleineren Durchmesser, deshalb kommt das Klopapier nicht ins Klo, sondern in den Eimer daneben.



  • In einer richtigen kolumbianischen Familie gibt es jeden Tag Fleisch – Hühnchen ist übrigens gar kein richtiges Fleisch, deshalb kann man auch mal Pollo & Carne zusammen auf dem Teller vorfinden (Hühnchen & Fleisch).



  • Um so länger die Warteschlange im Éxito (Supermarktkette) wird, um so entspannter sind die Kassierer/Innen – Naturgesetz!



  • Alle hellhäutigen Menschen mit ''klaren'' Augenfarben (sprich Europäer) werden Monos genannt – ursprünglich heißt das ''Affe''.


  • Wird es im Bus all zu eng (was zu allen Verkehrsstoßzeiten vorkommt, also 3mal am Tag), überlassen stehende Fahrgäste ihre Taschen einfach einem sitzenden Mitfahrer – manchmal sogar ihre Babys.



  • Männer mit lackierten Fingernägeln sind vollkommen normal – üblich ist aber nur durchsichtiger Nagellack.



  • Weit verbreitet ist hier das Gerücht, dass wir Europäer 'schlecht riechen'. Weil wir 1. uns teilweise nur alle 2 Tage duschen (hier wird sich, abhängig von der Klimazone, bis zu 3mal am Tag geduscht), 2. zwei Tage hintereinander das gleiche Tshirt anziehen und 3. Deo und Aftershave viel zu sparsam benutzen.



  • Eine Rikscha nennt man hier Bicitaxi (Bici=Abkürzung für Bicicleta=Fahrrad) und benutzt es wie ein Taxi für kürzere Strecken..



  • Nachmittags gibt es alternativ zum Kaffee Trinkschokolade mit Käse – sprichwörtlich: die Käsestückchen werden in die Schokolade gemischt.



  • Autotüren müssen sanft ins Schloss gleiten, lauteres Zufallen wird von den Autofahrern seeeehr stark missbilligt.



  • Rucksack oder Handtasche stellt man nicht auf dem Boden ab, da läuft das Geld weg.


  • Fettiges Essen wie Hühnchenkeulen werden in Fastfood-Restaurants mit Plastikhandschuhen gegessen... skurriles Bild!


Donnerstag, 20. Juni 2013

''Die Wut in meinem Herzen.'' - Wie Euphorie und Hoffnung zu Enttäuschung und Machtlosigkeit werden

Wer den 2. Eintrag über meine Arbeit gelesen hat (http://www.schnandaencolombia.blogspot.com/2013/05/doch-ich-arbeite-teil-2-oder-die-farbe.html), kennt ein bisschen das Projekt, in dem meine Mitfreiwillige Doro und ich die letzten 8 Monate gearbeitet haben und in das wir all unser Herzblut gesteckt haben. Am Ende des Artikels habe ich ein bisschen über die Idee geschrieben, die wir entwickelt haben, um das Projekt zu verbessern und gerade den Frauen, den ''Protagonisten'' des Projekts, mehr Vorteile zu verschaffen. Aber leider wird das Gute nicht immer gewürdigt...

In dem folgenden verlinkten Eintrag könnt ihr lesen, was seit dem passiert ist und warum wir ''Wut in unseren Herzen'' haben:

http://dschungelkind.wordpress.com/2013/06/20/die-wut-in-meinem-herzen/

Ein paar der Frauen: Doña María, Braulia, Patricia, Tatiana Deifilia, Mireya, Leidy

Mittwoch, 29. Mai 2013

<< VERDAMMT, WER KOCHT DENN DANN??? >>

Frau Merkel und ein Döner


...neulich bei Facebook...
Unterhalten sich ein paar deutsche Freiwillige nach 8 1/2 Monaten in Kolumbien über Essen:

(*Empleada = Hausangestellte, die es in den meisten kolumbianischen Haushalten gibt. Je nach Familie und Geld kommt sie ein bis mehrmals die Woche, jeden Tag oder wohnt sogar die Woche unter mit im Haus)

<< J: aber ihr habt schon ne empleada, oder?
    Lu: ja, aber nur alle 2 tage!
     J: VERDAMMT WER KOCHT DENN DANN?
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Kommentare: 
    -L.: da hat aber schon jemand ne extrem kolumbianische
         denkweise bekommen..hier aber auch so. hab gestern 2
         rühreier mit zwiebeln gemacht und hab mich gefühlt wie
         ein 5-Sterne-Koch...echt schlimm

    -Lu.: ... aber rührei mit zwiebeln ist merkwürdig ...


    -L.: das ist voll geil. du brätst zwiebeln in der pfanne an,

         haust die eier ah und würstchen rein und oregano und
         voilá .... Ich sag doch, hab mich gefühlt wie sonst noch
         was!

    -Lu.:ihr [habt] oregano? wie königlich

    -L.: tja, siehste mal wie ich's mir gut gehen lass


    -F.: Ihr habt Gewürze ?


    -I.: wir haben gewürze, weil ich manchmal koche[.] pizza und

         spaghettisoße ohne oregano und basilukum geht gaaar
         nicht!

    -J.: joa, also ich muss dann wohl erstmal einen kochkurs

         belegen, wenn ich wieder in deutschland bin!

    -F.: also wir haben salz und zucker im haus, dann hört die

         kulinarische Vielfalt auf

    -A.: hihi :D


    -W.: also wir haben so 20 gewürze... und ne empleada die

         jeden tag kocht

    -F.: wir haben gar keine ihr verwöhnten Prinzessinen


    -D.: dito F., ich auch nicht. dafür kann ich mein essen aber

         selbst bestimmen- es lebe die freiheit!

    -Mama J.: wie soll das nur werden zuhause so ganz ohne

              empleada ?

    -F.: Das wird ein schock für eure Mamis, wenn ihr aus dem

         Prinzessinnenleben zurrück kommt >>
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HINWEIS: Nicht alle Kommentare sind allzu ernst zu nehmen, auch wenn an dieser Stelle einige Mütter bzw. Väter vielleicht doch anfangen, sich ernste Sorgen über die Frau Tochter/ den Herrn Sohn zu machen.
...oder jedenfalls machen sollten :D


2.HINWEIS (interessant für meine Familie): W. steht in diesem Fall ausnahmsweise mal für Wanda...

Besitos, Wanda

Dienstag, 21. Mai 2013

Doch, ich arbeite - Teil 2 oder Die Farbe der Armen ist Bunt



Staub. Er ist überall, aber vor allem in der Luft. Selbst bei geschlossenem Fenster merke ich, wie meine Lunge sich mit staubiger Luft füllt. Auch in der Nase irritieren mich die kleinen Partikel, meine Handflächen fühlen sich leicht trocken an.
Der kleine, sehr wackelige Bus in dem wir sitzen, kämpft sich unermüdlich seinen Weg auf den steilen, staubigen Straßen nach oben. Obwohl – Straßen kann man sie eigentlich nicht nennen. Schon lange bestehen die Wege nicht mehr aus Asphalt sonder aus Staub und losen Steinen. Manchmal neigt dich der Bus so weit zur Seite, dass ich mich frage, wie man hier ''oben'' ärztliche Hilfe bekommen würde, sollte der Bus tatsächlich umkippen...
Tut er aber nicht.
Mittlerweile ist auch für uns beide, meine Freundin/deutsche Mitfreiwillige und mich, diese holprige Achterbahnfahrt 20min die Berge hinauf zur Routine geworden. Außerdem ist es jeden Donnerstag schon der 3. Bus in dem wir sitzen, über Ungemütlichkeit beschwert man sich nach anderthalb bis 2 Stunden Fahrt nicht mehr.
Unser Ziel: La Isla, ein Barrio (= Viertel) in Altos de Cazucá, einem Teil Soachas, der ganz oben auf der Spitz der Berge liegt, die Bogotá umgrenzen, und keinen besonders guten Ruf hat. Soacha?? Soacha war früher sogar mal einen eigene Stadt, heute gehört es zu Bogotá und bezeichnet den Süden der Millionenstadt, der vor allem als arm gilt. Die Berge hinauf wird diese Armut noch größer und deutlicher sichtbar. Während unserer Busfahrt sehen wir jenseits der Fenster Häuser, die diesen Namen nicht verdienen – Wellblechhütten, die an jeder Ecke so aussehen als ob sie gleich auseinander fallen würden und mit lauter großen Steinen auf den ''Dächern'', die die Bleche an Ort und Stelle halten sollen.

Doch nicht überall in Cazucá sieht es so aus, genau so gibt es richtige Betonhäuser mit bunten Fassaden - schaut man wörtlich ''hinter die Fassade'' zeigen sich allerdings graue, triste Wände.

Und doch, wenn wir kurz vor halb 10 endlich ankommen und aus dem Bus steigen, ist der erste Eindruck: hell, bunt und belebt. Der sandige Boden hier hat eine ähnliche Wirkung wie Schnee in den Bergen - er reflektiert die Sonne extrem. Deshalb schauen wir die ersten paar Minuten nur nach rechts und links und vermeiden den Blick nach vorn. In kleinen, offenen Läden hängen Obst und Kräuter von der Decke, in der Ecke steht ein alter Spielautomat, um den sich Jugendliche drängen. Daneben stapeln sich hinter staubigen Vitrinen kolumbianisches Gebäck (Pan de Yuca, Almohabanas, Empanadas...) in einer Bäckerei. Davor stehen und sitzen Männer, rauchen Zigaretten oder beobachten einfach nur die Straße, auf der kreuz und quer Frauen mit ihren Kindern auf dem Arm, Jugendliche in kleinen Gruppen und Schulkinder in Uniform und mit Rucksäcken auf dem Rücken laufen. Dazwischen streunen Hunde aller Farben und Größen.



Auf unserem kurzen Weg zur Bibliothek & ''Kulturzentrum'' der Isla kommen wir an dem Haus von Doña Maria vorbei, einer zierlichen Dame mit kurzem, grauen Haar. Sie ist die ältesten unserer Runde und auch die weiseste. Sie winkt herzlich und ruft uns zu, dass sie gleich kommt. Ein paar Meter weiter treffen wir Deisy, eine junge 23-jährige Frau, mit ihrem Sohn Kevin im Kinderwagen - sie begrüßt uns freudig mit einem Kuss auf die Wange und wir gehen gemeinsam das letzte Stück. Am Eingang des Gebäudes schließt uns Don Roberto das Gittertürchen auf. Als wir in unseren kleinen Arbeitssaal kommen, sitzen schon 10 Frauen an dem langen Tisch. Wir begrüßen jede einzeln mit Kuss auf die Wange und der Frage ''Cómo estás?'' (=''Wie geht es dir?'') - von der es allerdings mindestens 9 mir bekannte Abwandlungen gibt. Dann begrüßen wir auch Nancy, quasi die Lehrerin dieses Kurses, die aber erst seit ein 3 Monaten dabei ist und als 3. zu unserem Team gehört.
Sie ist schon dabei die Perlen und zugehörigen Utensilien an alle Frauen zu verteilen – ''Mamás'' wie wir sie nennen. Denn dieses Projekt ist ein Schmuck-Kurs mit 16 Frauen bzw. Müttern der ''Isla'', die sich seit Oktober letzten Jahres jeden Donnerstag mit uns treffen, um zu lernen wie man Ohrringe, Ketten, Armbänder und Ringe macht – mit den unterschiedlichsten Techniken und Perlen. Keine dieser Frauen hat einen festen Job, alle verdienen sich so oder so mit kleinen Arbeiten Geld. Tatiana zum Beispiel verkauft vor ihrem Haus Salat (eines Tages werden wir dort essen, haben Doro und ich uns versprochen!). Dieser Kurs soll ihnen also Fähigkeiten vermitteln, die für sie eine andere Einkommensquelle darstellen könnten. Für den Workshop müssen sie nicht bezahlen, für das Material auch nicht – das wird von der Fundación (=Stiftung) ''Catalina Muñoz''
(siehe http://fundacioncatalinamunoz.org/site/) gestellt, genau so wie die Bezahlung von Nancy als offizielle Lehrerin. Ansonsten wird das Projekt hauptsächlich von dem Einsatz von Freiwilligen getragen, zur Zeit also von Doro und mir.
Jeden Mittwochmorgen gehen wir selbst in eine Schmuckklasse und lernen dort, was wir später unseren Mamás beibringen.
Nicht alles, was wir machen ist wirklich schön. Es gibt sogar ausgesprochen hässliche Sachen ;). Aber darum geht es am Ende gar nicht – schön ist, zu sehen, wie sich Braulia, eine ältere Dame, jedes mal abmüht, alles richtig zu machen und nur herzlich lacht, wenn ich mir mit leicht verzweifelter Miene ihren Ring anschaue und sie frage, wie sie es geschafft hat, in so kurzer Zeit schon wieder alles zu verknoten. Bei 16 Frauen allen Alters und Sehstufen muss man manchmal viel Geduld haben - aber noch viel mehr Geduld haben die Frauen selber. Wenn 5 Señoras auf einmal ''Profeeeee'' (Kurzform für ''Lehrerin'') oder ''Wandaaaa'' rufen, Nancy gerade selber nicht weiß, wie man dieses Armband erklärt und ich gerade den kleinen 8 Monate alten Kevin auf den Arm genommen hab, damit seine Mutter in Ruhe arbeiten kann, wird es schon mal ein bisschen chaotisch. Und trotzdem lachen alle, quatschen durcheinander und verknoten gut gelaunt ihren Nylonfaden. Und meist liegen am Ende doch viele schöne Schmuckstücke vor uns, jedes einzelne mit Herzblut und Geduld gemacht.
Leidy
Doña Maria
Behalten dürfen die Frauen die Sachen leider nicht, alle Arbeiten werden notiert, eingesammelt und zur Fundación gebracht. Diese verkauft ein paar Mal im Jahr den Schmuck auf einem Markt, von dem Erlös sehen die Frauen leider nur einen Bruchteil. Auf dem Weg vom Verkauf zurück bis zur ''Quelle'', den Frauen, die den Schmuck hergestellt haben, geht leider viel ''verloren''. Bei dem Verkauf einer Kette zum Preis von 30.000 Pesos (ungefähr 12,80€) zum Beispiel bekamen die Frauen nur 3.000 Pesos. Und da sie die Ketten in Partnerarbeit hergestellt hatten, betrug der Verdienst pro Kopf gerade mal 1.500 Pesos (=0,65€). Eine traurige Bilanz, und ungerecht dazu.
Deshalb haben wir in einem Workshop mit AFS und ASHOKA (siehe http://germany.ashoka.org/) eine Idee/einen Plan entwickelt, wie wir unser Schmuckprojekt weiterentwickeln können, es unabhängiger und selbstständiger machen können und vor allem einen größeren ''Gewinn'' für die Frauen erzielen können. Noch ist alles in der Anfangsphase, wir sammeln Ideen, stellen sie vor und entwickeln Pläne, aber unsere Ziele stehen. Eins davon ist die Suche nach einer Plattform, einer Ebene auf der wir den Schmuck so verkaufen können, dass der Gewinn auf direktem Wege den Frauen zu kommt. Dazu gehört auch die Entwicklung einer Marke, das ''Branding'' des Schmucks, der in unserem Kurs entsteht um ihm einen Wiedererkennungswert zu geben und ihn vor allem eins zu machen: Einzigartig.
Einsatz von unserer Seite aus reicht da leider aber nicht aus, gerade beim Start eines solchen Projektes braucht man ganz einfach Geld. Der oben genannte Workshop mit AFS und ASHOKA hat uns aber nicht nur die Theorie der Projektentwicklung vermittelt und uns in dem Prozess eines solchen individuellen Projektes unterstützt, sondern auch Wege zur Finanzierung offen gelegt. Am Ende haben wir mit der Präsentation unserer Idee das Interesse leitender Persönlichkeiten der beiden Institutionen geweckt und somit ihre finanzielle Unterstützung gewonnen. Wenn wir mit der Umsetzung aktiv beginnen, werden sie uns finanziell aber auch personell (z.B. mit Kontakten) zur Seite stehen.
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Am Ende unserer Stunde erzählen wir unseren Señoras von unserer Idee. Sie sind alle begeistert, nicken eifrig und fangen schon an, in ihren Köpfen unsere Ideen zu visualisieren und zu entwickeln. Ihre Unterstützung haben wir also auch.
Sie fädeln die letzten Perlen auf, verknoten den Faden und zeigen uns ihre Arbeiten. ''Ist die so in Ordnung?'' fragt mich Braulia und hält mir ihre Perlen-Kugel hin. Ich drehe sie einmal um sich selbst und sehe auf den ersten Blick: an 2 Stellen stimmt die Anzahl der Perlen nicht. Wir lachen beide und ich sage: ''Völlig in Ordnung!''
Daisy mit ihrem 8 Monate altem Sohn Kevin

Alle verabschieden uns herzlich und bedanken sich, wir geben den Dank an sie zurück und verlassen lächelnd das Haus. Vorne an der Ecke sehen wir einen weißen Bus mit lilafarbenen Streifen – unser Bus! Winkend und rufen rennen wir die staubige Straße hinunter – das muss ein Bild sein; schon so fallen wir ''Monos'' (hellhäutige Europäer) auf wie bunte Schafe und dann laufen wir auch noch, als ob es um Wichtigeres ginge als ein Bus. Ein Kolumbianer rennt eigentlich nie, Zeit ist immer da. Gerade hier oben scheint das Leben nicht so sehr nach zeitlichen Regeln zu gehen, man hat immer Zeit für ein Pläuschchen. Oder um auf jemanden zu warten – der Busfahrer winkt uns von weitem zu, er hat uns gesehen. Eine Minute später fallen wir auf die staubigen Sitze der letzten Reihe. Gaaanz schlechte Idee, unten werden wir wie seekrank aus dem Bus taumeln... Aber zufrieden!


So können ganz kleine Dinge beginnen zu wachsen und immer größer werden.
Ich bin unendlich froh, Teil dieses Prozesses zu sein. Wenn ich in 3 Monaten dieses Land und damit all diese Menschen vorerst verlassen muss, und weiß, dass all ''meine'' Mamás vielleicht ab und zu ein paar mehr Pesos in der Tasche haben, weil sie ihren Schmuck verkaufen können und nicht abhängig sind von einer anderen Institution außer ihnen selbst, dann bin ich zufrieden. Dann kann ich gehen, mit dem guten Wissen, dass ich etwas geschafft habe. Dass ich, obwohl ich es nie geglaubt hätte und nie so anmaßend gewesen wäre, mir so eine Rolle zu zuschreiben, das Leben einiger Menschen hier ein ganz kleines bisschen verändert habe. Ihnen vielleicht auch nur einen Weg gezeigt habe, der nach vorne führt. Aber immerhin das. Und das macht mich glücklich!

Einen lieben Gruß,
eure Wanda

Montag, 13. Mai 2013

Indignada... Empört...

...bin gerade erst vor einer Stunde aus meinem verlängerten Wochenende wiedergekommen und komme deshalb erst jetzt - ein paar Tage später - zu einer kleinen Richtigstellung einer großen Sache. Einer Sache, die, auch wenn nicht unbedingt völlig unerwartet, mich doch unglaublich empört hat.

Mit meinem Blog möchte ich vor allem kleine Funksignale an meine Familie und Freunde zu Hause, oder woanders in der weiten Welt, senden; ''Hallo, ich lebe noch und mir geht's gut''. Ich will aber auch kleine ''Stückchen'' Kolumbien in die Welt tragen und mitwirken an einem Prozess der Entstereotyposierung dieses Landes auf der anderen Seite des Meeres. Um so mehr enttäuscht und empört einen da falsche Berichterstattung. Zugegeben, von der BILD erwartete man wirklich nicht mehr als fette Schlagzeile und einen ganzen Haufen an Stereotypen. Trotzdem möchte ich hier auf die Berichterstattung der letzten Tage auf BILD.de über die Südamerika-Reise unseres Bundespräsidenten Gauck eingehen. Ein Mehr an falschen Informationen und maßloser Übertreibung lässt sich kaum denken... Ich bin mir sicher, dass eigentlich jeder von euch sich bewusst ist, in wie weit man sich auf den sachlichen Gehalt von BILD-Artikeln verlassen kann (nämlich gar nicht), trotzdem möchte ich gern ein paar Dinge kommentieren - einfach um euch eine wahrheitsgemäßere Sicht darzustellen. Ich bin keine Journalisten, ich bin keine Politikerin - aber ich lebe seit fast 9 Monaten in Bogotá.

Damit ihr euch erst selbst ein Bild machen könnt (Wortwitz der feinsten Sorte...), hier der Link zum Artikel:

http://www.bild.de/politik/inland/gauck-joachim/gauck-in-der-gefaehrlichsten-stadt-der-welt-30326676.bild.html

Fangen wir beim Titel an - ''Gaucks gefährlichste Reise''. Schon beim zweiten Wort beginnt die BILD mit ihrer ''objektiven'' Mitteilungsweise. Daran möchte ich mich gar nicht aufhalten, bemerken wir aber dazu, dass der ursprüngliche (orginale) Titel noch so lautete: ''Gauck in der kriminellsten Stadt'' (-> Bogotá, Hauptstadt Kolumbiens). Dagegen klagte allerdings die kolumbianische Regierung, also wurde der Titel abgewandelt (siehe http://amerika21.de/2013/05/82812/bild-kolumbien).

Weitere Übertreibungen lasse ich aus; bleiben wir weiter bei der Berichterstattung über Bogotá im allgemeinen: ''Bogotà ist weltweite Hochburg des Verbrechens''. Wenn auch die Beleidigung im Titel gestrichen (gemildert) wurde, bleibt sie im Text bestehen. Wie auch die kolumbianische Regierung in ihrer Klage klarstellt, gehört Bogotá schon seit längerem nicht mehr zu den gefährlichsten und kriminellste Städten der Welt (siehe 2.Link), dasselbe beweisen andere aktuelle Rankings. Ein paar Tage später bezeichnet die BILD wiederum Medllin als eine der gefährlichsten Städte der Welt- bleiben wir beim Vergleich in Kolumbien, stimmt hier, dass die zweitgrößte kolumbianische Stadt aufgrund ihrer Vergangenheit als Drogenkartell noch heute neben Cali zu den gefährlichsten Städten des Landes zählt. Auf internationaler Ebene besteht diese Aussage allerdings kaum.

Weiter geht es mit dem Untertitel ''So brutal ist Bogotá!'' und der Aufzählung übertriebenster Stereotypen:

- laufend Überfälle im Taxi: Tatsache ist, dass es diese Überfälle gibt. Auch ich persönlich habe schon von welchen gehört (Exfreiwillige). Allerdings gehören sie nicht zur monatlichen Routine jedes bogotanischen Bürgers, der oft Taxi fährt (z.B. wie ich, mindestens 2mal pro Tag). Außerdem gibt es ein paar einfache Sicherheitsregeln, die jedem eine sorgenfreie Fahrt ermöglichen. Geld hebe ich übrigens auch meistens alleine ab - wenn auch nicht im in der dunkelsten Starße nachts um 3...
- Erpressung, Entführung, gefährliche Stadtviertel: Die Guerillagruppen wie die FARC oder die ELN sind bis heute aktiv, es ist schwer einzuschätzen, ob die öffentlich verlautete Demobilisierung der Gruppen in Wirklichkeit so stattgefunden hat/zu Verminderung geführt hat. Allerdings gilt auch hier: Bestimmte Zonen im Land sind als Ausländer, aber genau so als Staatsbürger zu meiden. Man wird nicht bei hellichtem Tage in Bogotá verschleppt, nur weil man helle Haare hat! Zu den angegebenen Stadtvierteln Bogotás, die angeblich so gefährlich sind: In Suba wohnt eine deutsche Freiwillige von AFS und bewegt sich dort wie in anderen Vierteln auch, nachts gelten sowieso überall strengere Regeln. Und der Süden Bogotás ist tatsächlich ärmer und krimineller, allerdings machen diese Umstände es nicht zum ''Quarantäne-Gebiet'' für Ausländer. Ich selbst bin jeden Donnerstag im Süden Bogotás unterwegs... dazu mehr in meinem nächsten Eintrag über meine Arbeit.
- die K.O.-Tropfen: Sie gibt es, wie wir mittlerweile in vielen Artikeln über Weihnachtsmärkte gelernt haben, nicht nur in Kolumbien. Sie sind ohne Frage sehr gefährlich und stellen immer ein Risiko im Großstadt-Alltag dar. Auch hier gilt: Sicherheitsmaßnahmen beachten. Anmerkung zum Beispiel der 2 deutschen Lehrer - Europäer (/US-Amerikaner)  fallen auf und werden meist des Reichtums verdächtigt, Kolumbianer gehören aber genau so zu den Opfern.

--- Ende des Artikels ---

Informativ wie man es von der BILD gewohnt ist. Ein wenig ausführlichere Artikel gibt es im Stern und in der WELT.
Viel mehr gibt es nicht zu sagen - Kolumbien ist ein Land der Extreme und ich möchte nicht bestreiten, dass noch immer viel Gewalt und Ungerechtigkeit einem Fortschritt im Wege stehen. Aber der Prozess ist im Gang und auch wenn die Schritte klein sind, sind die Veränderungen für die Menschen hier doch zu groß, um derartig verleugnet zu werden. Ein Schritt nach vorn kann schon mit ein klein bisschen mehr Wahrheit beginnen - hier sind es kleine Wahrheiten in euren Köpfen!

Eine gute Nacht, 
Wanda

Sonntag, 7. April 2013

Doch, ich arbeite - Teil 1

Schon oft wurde ich gefragt: ''Sag mal, arbeitest du überhaupt???'' und für diejenigen von euch, die aufgrund zu vieler Strandbilder mit bilderbuchblauem Meer im Hintergrund zu ähnlicher Ansicht gekommen sind, dieser Eintrag: Doch, ich arbeite!
Ich habe einmal ganz am Anfang eine Seite angelegt, die sich ''Mein Projekt'' nennt (oben in der Leiste zu finden). Allerdings hat sich seit dem viel geändert und mittlerweile zähle ich noch ein anderes Projekt zu den meinen, das mir nicht offiziell zugeteilt wurde, sondern mir mit all seinem Charme und lieben Menschen über den Weg gelaufen ist...

Beginne ich mit der Musikschule, der ''Compañia Filarmonica de los Andes'', die mein offizielles AFS-Projekt ist. Viermal die Woche bin ich dort nachmittags bis abends, nur Freitag fange ich schon morgens um 9 an und hab so einen freien Nachmittag. Gibt es Samstags Konzerte, muss ich auch da manchmal helfen.
Meine Arbeit an sich lässt sich schwer mit einem Begriff beschreiben - vielleicht noch am besten mit ''Mädchen für alles''. Ich habe schon Verlängerungskabel mit Heißklebepistole an Leisten geklebt, Notenlinien auf großen Schultafeln mit Acrylfarbe nach gemalt (so 3 Wochen ungefähr), weiße Farbe von Holzrahmen abgeschabt und mit Sandpapier nach poliert und unzählige Notenübersichten und Rhythmusspiele (natürlich auf spanisch) gemalt, gebastelt & geklebt.
Mein ''neustes Projekt'' ist der Modellbau eines kleinen Dorfes mit 14 Miniaturhäusern, 28 Treppchen und 3 Straßen auf einem Spielfeld der Größe A1 ungefähr, das Kindern das Lernen der Dur- und Moll-Tonarten erleichtern soll. Nichts leichter als das - außerdem muss es natürlich zusammenklappbar sein. Ich habe viel Zeit und ''paciencia'' (Geduld)...




Nebenbei mach ich Fotos, die die Musikschule für ihre diversen
Publikationen verwendet, entwerfe Aushänge für Konzerte oder schmücke den Eingang anlässlich von Feiertagen, Festen und ''Jahreszeiten''.




Ein mal in der Woche habe ich eine Stunde mit meinem Klavierschüler Alejandro.
Alejandro ist 32 Jahre alt und lernt schon seit ungefähr 20 Jahren Klavier und Gesang in der Filarmonica. Wenn ich Dienstagnachmittag um zwanzig nach 2 in die Musikschule komme - <<Ya te volviste colombiana!>> bekomme ich allerorts zu hören (''Du bist schon richtig kolumbianisch geworden!'') - kommt meine Chefin aus dem Unterrichtszimmer, schüttelt den Kopf und sagt ''Wanda, ich kann nicht mehr. Du bist dran.''. Als ich mich neben Alejandro ans Klavier setze, lächelt er nur entschuldigend und schaut auf die Noten die vor ihm stehen. Nun wahrscheinlich schon seit einem Monat dieselbe Seite. Meine Chefin, und gleichzeitig Klavier-, Gesangs- & Musiktheorielehrerin der Musikschule, zeigt mir welche Takte nicht gut klingen und welche Tonleiter wir üben sollen. Dann ermahnt sie meinen Schüler ''juicoso'' (vernünftig, brav) zu sein, wünscht mir viel Glück und verlässt das Zimmer. 

Ich lasse Alejandro erst einmal das ganze Stück vorspielen. Dann spielt er nur den einen schwierigen Takt. Ich erkläre ihm, warum der Rhythmus falsch ist und spiele ihm selbst den Takt vor. Er nickt fleißig und spielt den Takt wieder falsch. Ich lasse ihn verschiedene Noten-Kombinationen einzeln spielen und hundertmal wiederholen. Danach spielt er den Takt wieder 20 Mal falsch. Dann spielt er ihn richtig - ich juble!!! Die nächsten 10 Mal spielt er ihn wieder leicht unrhythmisch. Egal- irgendwie haben wir doch was geschafft diese Stunde. Und vielleicht spielt er nächste Stunde den Takt ja zweimal richtig.
Was für eine Krankheit Alejandro genau hat weiß ich nicht. Meine Chefin hat mir einmal erklärt, er würde 7mal so lange brauchen um etwas zu lernen wie ein Mensch mit durchschnittlicher Lernfähigkeit. Oft erstaunt mich aber am meisten seine eigene Geduld. Manchmal ist er ein bisschen wie ein kleiner Junge, aber er beschwert sich nie, wenn ich ihn 10 Minuten lang die gleichen 3 Noten spielen lasse. Auf Leute, die ihn nicht kennen, wirkt er wie ein ''normaler'' junger Mann, sehr ruhig, ein bisschen langsam, ein bisschen schusselig. So weit ich weiß, verdient er auch selbst Geld mit dem Verkauf von Perfums, davon leben kann er aber wohl eher nicht. Seine Freizeit verbringt er größtenteils bei uns – übt Klavier, singt oder... lernt Deutsch in meinem Kurs.

Jeden Dienstag- und jeden Mittwochabend kommen außer Alejandro noch 4-5 weitere Schüler in die Filarmonica um in meinem Kurs deutsch zu lernen. Warum? Ich habe keine Ahnung! Tatsache ist, dass alle meine Schüler freiwillig kommen und lernen.
Wenige haben schon bei meinen deutschen Vorgängern ein wenig gelernt – für andere ist die deutsche Sprache nicht mehr als ein fremdes Phänomen. Und ich gebe zu – auch mir wird sie immer fremder. Nicht nur durch die fehlende Übung; um so mehr ich mich in grammatische Strukturen vertiefe, um meinen Schülern logische Antworten zu geben, um so unsinniger scheint mir diese Sprache zu sein. Mein Kurs ist gerade mal ganz am Anfang aller Grammatik und doch stolpere ich schon über mir völlig unklare Dinge - wie zum Beispiel dem Akkusativ. Warum brauchen wir denn überhaupt Fälle??? Dazu kommt, dass ich meinen Schüler meistens erst einmal die spanische Sprache erklären muss, um dann einen logischen Bezug zur deutschen Grammatik zu schaffen. Denn so wenig wie ich meine eigene Sprache in ihrer Theorie verstehe, so fremd ist meinen kolumbianischen Schülern ihre eigene ''idioma''.
Alejandro hat außerdem ein Hang zum Italienischen – so ist das Sprachchaos perfekt!
Noch schwieriger als die Grammatik - mit der sie sich ja eigentlich noch gar nicht beschäftigen sollen - ist die Aussprache, die kann man nämlich nicht umgehen. Das anfängliche ''Eins-Zwei-Drei-Bier-...'' ist mittlerweile sogar schon fast verschwunden (Erklärung: 'b' und 'v' werden im Spanischen meist gleich ausgesprochen, oft mit Hang zum 'b'), Wörter mit 'ü' und 'ß' sorgen immer noch für Verwirrung.
Und doch - wenn einer meiner Schüler sagt: ''Mir gefällt es Klavier zu essen'' und alle anderen sich 10 Minuten vor lachen nicht mehr einkriegen, dann weiß ich – sie haben begonnen, die Sprache zu verstehen. Genauso schön ist es auf der Treppe von einem meiner Schüler mit ''Guten Tag, Wanda'' begrüßt und ''Auf Wiedersehen'' verabschiedet zu werden. In den paar Monaten, die mir noch bleiben, werden sie vielleicht nicht lernen Deutsch zu ''reden'', aber sie werden am Ende gelernt haben, dass es in Deutschland weder Arepas noch Empanadas gibt, dafür aber die leckerste Schokolade der Welt! Sie werden wissen, dass es ein Unterschied zwischen Bier und der Zahl 4 gibt und Dinge, die sich ''Fälle'' nennen, die aber nicht mal die Deutschen selbst verstehen und richtig anwenden.
Und sie werden ein paar Sätze sagen können, manche einfacher, manche sogar schon komplexer, und damit vielleicht eines Tages einen Deutschen überraschen, der ihnen über den Weg läuft!

ENDE TEIL 1

Samstag, 9. März 2013

''Zwei deutsche Geiseln wieder frei''

... ich bin sicher, dass die Entführung der 2 deutschen Rentner durch die ELN hier in Kolumbien bei euch in Deutschland genau so ein großes Thema war wie hier. Seit dem Anfang Februar die Entführung und einige Informationen zu den Entführten bekannt geworden sind und das Thema mehrere Tage die Nachrichten hier mitbestimmte, hab ich nichts weiter mehr finden können zum Verlauf der Verhandlungen über ihre Freilassung außer der Weigerung der ELN die beiden Deutschen freizulassen aufgrund der Verdächtigung als ''Spione'' des deutschen Staates.
Gestern fand nun wohl die Übergabe der Beiden an das Rote Kreuz statt. Ich wurde durch einen anderen Freiwilligen auf einen Artikel über die Befreiung aufmerksam gemacht und wollte ihn euch hier zeigen - für diejenigen die es genau so interessiert und es bis jetzt nicht mitbekommen haben. Ich konnte im Netz so gut wie keine weitere Berichterstattung finden, also denke ich, dass auch bei euch noch nicht mehr bekannt geworden ist.

Hier der Link zum deutschen Artikel:
http://www.faz.net/aktuell/kolumbien-zwei-deutsche-geiseln-wieder-frei-12108114.html 

Ich hoffe euch geht es allen gut,
Wanda